Losers and Winners

Nach nur acht Jahren Betriebszeit wurde die 1,3 Milliarden DM teure, hypermoderne Kokerei Kaiserstuhl im Dezember 2000 stillgelegt. Frühjahr 2003: Ein chinesischer Arbeiter im Blaumann geht über das kolossale Werksgelände und malt Schriftzeichen auf Stahlträger und an Wände. Im Dortmunder Norden entsteht ein neuer Mikrokosmos, ein eigenes Stück China - dynamisch und effektiv. Für rund 400 Chinesen wird ein Wohncontainerdorf errichtet - mit eigener Großküche inklusive Riesenwoks und Satellitenschüssel fürs Heimatfernsehen. Hoch motivierte Menschen aus einem Niedriglohnland treffen auf finanziell abgesicherte, aber perspektivenlose Arbeiter einer Industrienation - deren einstige Quelle von Macht und Wohlstand installieren sie kurzerhand bei sich zu Hause. Die Demontage vollzieht sich in Windeseile, angetrieben durch den permanenten Druck der Konzernleitung und ein paar wenige Prämien. Die deutschen Verwalter sehen derweil hilflos mit an, wie ihr Arbeitsplatz in handliche Stücke zerlegt wird: Auf Kaiserstuhl, wo früher bis zu 800 Menschen tätig waren, betreuen nun die letzten dreißig Arbeiter den so genannten Stillstandsbereich. Bei den Deutschen, die den Abbau der Anlage logistisch unterstützen sollen, herrscht Skepsis und Distanz gegenüber den ausländischen Kollegen und ihren als leichtsinnig empfundenen Methoden. Die Demontage ist nicht aufzuhalten und führt den Verlust der Industriearbeit in Deutschland, ja in ganz Europa, täglich vor Augen. Für die Arbeiter aus dem Ruhrgebiet ist dies ein tiefer Stich ins Herz, haben sie doch ihr Leben lang als Koker gearbeitet. Die Chinesen arbeiten 60 Stunden in der Woche, leben genügsam und sparen jeden verdienten Cent. In 1 1/2 Jahren stellt das chinesische Fernsehen und seltene Telefonate mit Frau und Kind für die Männer die einzige Verbindung in die Heimat dar. Deutschland oder auch nur Dortmund kennen zu lernen, dazu fehlt den Chinesen die Zeit und das Geld, denn schon die Busfahrkarte in die Stadt scheint bei einem - gemessen an chinesischem Standard - üppigen Monatslohn von umgerechnet 400 Euro unerschwinglich. Zu Kontakten zwischen den deutschen und chinesischen Arbeitern kommt es kaum. Die Arbeitsinstrumente der Deutschen sind Vorschriften und Bestimmungen zu Sicherheit und Umweltschutz, die von den Neuankömmlingen gerne ignoriert werden. Trickreich versuchen sie, diese zu umgehen, schließlich sind die "alten Ausländer" kaum acht Stunden auf dem Gelände, und was sie nicht sehen, kann nicht geahndet werden. Noch bevor das Werk ganz demontiert ist, werden die deutschen Arbeiter in die so genannte "Kurzarbeit 0", dann in die "Anpassung" und schließlich in den Vorruhestand versetzt. Alle diese Begriffe umschreiben unzureichend die Tatsache, dass es in dieser Gesellschaft für sie keine Arbeit mehr gibt, sie selbst und ihr ganzes Berufsbild scheinen nicht mehr gebraucht zu werden. Wie sich jedoch im Nachhinein herausstellt, waren die wirtschaftlichen Prognosen falsch und der Verkauf der Kokerei ein großer Fehler: Inzwischen herrscht auf dem Weltmarkt ein enormer Mehrbedarf an Koks, nicht zuletzt durch die boomende Wirtschaft in China selbst. Der Preis pro Tonne Koks stieg in den Jahren nach der Stillegung von Kaiserstuhl von 30 auf 550 Dollar "als hätte die Globalisierung einen bitteren Sinn für Ironie und sich ausgerechnet Dortmund-Mitte für ihre Pointe ausgesucht".

Länder/Kontinente (inhaltlich): China, Deutschland, Europa
Verleihstellen: GM Films

Produktionsjahr2006
ProduktionslandDeutschland
Ziel-/Altersguppeab 14 Jahren
Formate35 mm, DVD
Länge96 Minuten
BuchUlrike Franke, Michael Loeken
RegieUlrike Franke, Michael Loeken
KameraMichael Loeken, Rüdiger Spott
TonUlrike Franke, Csaba Kulcsar
MusikMaciej Sledziecki
SchnittGuido Krajewski
Produktionfilmproduktion loekenfranke
AuszeichnungenBest Film Award One World Prague 2007
GenreDokumentarfilm